I Am the Only Person I Can Change

Ich bin der einzige Mensch, den ich ändern kann

Ich werde versuchen meine Erfahrung, Kraft und Hoffnung zu teilen, weil es mit der Rolle zu tun hat, die mein Vater, Roy K. sowohl für meine Sucht als auch für meine Genesung gespielt hat. Dank unserer Sucht und unserer Charakterfehler war es für uns beide ein holpriger Weg.
Unsere Konflikte und unsere Themen waren nicht das eigentliche Problem. Damals konnten wir das allerdings nicht erkennen. Wir schoben uns gegenseitig die Schuld zu und versuchten beide, den anderen zu reparieren, anstatt nach innen zu schauen und uns selbst in Ordnung zu bringen. Wir versuchten vor der Haustür des anderen zu kehren statt vor unserer eigenen. Es ist schwer genug mich selbst zu ändern, jedoch unmöglich andere zu ändern. Tatsächlich fand ich es sogar unmöglich mich selbst zu ändern ohne dazu die die Prinzipien anzuwenden, die ich in AS fand, Prinzipien wie Vergebung und andere anzunehmen wie sie sind, „leben und leben lassen“ – der Pfad zum Frieden.
Ich bedaure, dass mein Vater und ich dies erst an dem Zeitpunkt erreichen konnten, an dem er schon tödlich an Krebs erkrankt war. Das war im September 2009. Erst im letzten Moment lüftete sich der Schleier und wir konnten beide über uns selbst hinaus blicken und den anderen wirklich sehen. Unsere Herzen waren in völliger Vergebung und Versöhnung miteinander verbunden. Gott sei Dank! Wie unglaublich traurig wäre es gewesen, wenn er gestorben wäre ohne das zu erfahren.
Meine Sucht begann lange bevor ich je Lüsternheit oder Sex erfuhr. Sie begann mit Schmerz und Trauma, welche später durch die „Medikation“ mit Lüsternheit gelindert werden mussten. Das fing in meiner Vorschulzeit an. Papa war tief in seiner Sexsucht, die meiste Zeit abwesend jagte er dem großen Kick nach, von dem er im Weißen Buch spricht und der ihn heilmachen sollte. Wenn er zuhause war, war er emotional unerreichbar. Mit der Familie machte er sich nicht viel zu schaffen, außer wenn er uns anschrie, weil wir ihm auf die Nerven gingen. Das waren beängstigende Momente. Ein Mal, z. B., als er uns irgendwohin fuhr, saß ich auf der Rückbank und tippte mit meinen Fingern auf dem Bezug des Sitzes herum. Während er das Steuer hielt drehte er sich zu mir um und schrie mich mit wutverzerrtem Gesicht an: „Wenn du nicht aufhörst werde ich einen Unfall bauen!“ Mit Paps gab es keine Langeweile! Ich konnte keinen Gedanken fassen oder mich bewegen. Wie vom Schlag getroffen, wie in Schockstarre fühlte ich nichts mehr.
Auf solche Ereignisse reagierte ich mit Selbstschutz. Ich gewöhnte mir Überlebenstaktiken an um klar zu kommen. An dem Punkt begann meine Sucht. Ich brauchte einen unbeschwerten Ort, wo ich mich verstecken konnte. Ich wurde ein Tagträumer. Fantasien wurden meine Zuflucht. Zwanghaftes Essen linderte die Angst. Später enführten Science-fiction-Bücher mich in andere Welten. Diese Dinge tat ich ausdauernd und gewohnheitsmäßig. Die Saat der Sucht war gelegt. Im vorpubertären Alter entdeckte ich Masturbation. Ich entwickelte sofort eine blühende Abhängigkeit davon. Was für eine Erleichterung das brachte! Es hatte einen betäubenden Effekt der lange über den Akt hinaus anhielt. Es wurde meine Lieblingsdroge. (Denkt daran wie oft mein Vater im Weißen Buch Sexsucht als Droge bezeichnet.) Es war besser als Essen und Fantasieren. Allerdings machte ich mit diesen anderen Süchten natürlich auch noch weiter. Damals war ich ein sexsüchtiger Viertklässler.
Als ich in die Pubertät kam und von Mädchen angezogen wurde, wurden meine Fantasien romantischer und erotischer, Brandbeschleuniger für meine Krankheit. Ich war zwar zu schüchtern um mit Mädchen zu sprechen, aber über sie fantasieren, das konnte ich natürlich. Mich in meinem Kopf aufzuhalten hielt mich in mir selbst gefangen, unfähig zu Mädchen Kontakt aufzunehmen. Angst lähmte mich und ich betrieb viel Aufwand diese Angst zu „medikamentieren“. Emotional war ich so zugerichtet worden, dass ich glaubte ich sei mangelhaft und unattraktiv. Ich glaubte sogar ich sei tatsächlich äußerlich hässlich. Jahrzehnte später fand ich heraus, dass nichts davon zugetroffen hatte. Ich fühlte mich unzureichend und hatte Angst mich zu blamieren und abgelehnt zu werden, wenn ich mit Mädchen sprach. Vor Ablehnung hatte ich eine Höllenangst. Das Bedürfnis mich zu betäuben ging sehr tief. Mit fünfzehn fügte ich meiner Medikation noch Drogen hinzu.
Heutzutage weiß ich, dass mein Vater nie so sein wollte. Er war nicht gemein. Er war auch nicht körperlich gewalttätig. Er war eigentlich zart besaitet. Er liebte uns, aber für uns war es verwirrend Liebe und Raserei im selben Haus zu erleben. Seine Krankheit machte ihn irrational und impulsiv. Meine Krankheit tat mit mir dasselbe, jedoch in etwas geringerem Maße, dank seiner Genesung und wie er sich veränderte. Er konnte seine Wutausbrüche nicht kontrollieren, wie sehr er es sich auch wünschte. Als ich ein Teenager war, machte er mich einmal für einen unwesentlichen Regelverstoß total zur Schnecke. Danach war er völlig fertig mit den Nerven. Er weinte fürchterlich als er versuchte mich zu trösten.
Meine erotischen Fantasien schritten weiter voran, bis ich irgendwann Mädchenzeitschriften aus dem Zeitschriftenladen an der Ecke stahl, später pornographische Filme und Videos anschaute, bis ich schließlich heiratete. Wie so viele von uns dachte ich mein Problem sei gelöst, weil ich jetzt ein moralisch korrektes Ventil für meine Sexualität hatte. Hatte ich natürlich nicht. Im Folgenden wurde ich verschiedentlich von meiner Frau erwischt. Es endete mit Verletzung, Wut und Verrat. Sie dachte sie hätte jemand ganz anderes geheiratet. Sie hatte nicht gewusst, dass mein wirkliches Ich es liebte, sich zu verstecken und Geheimnisse zu hüten wie Cybersex, Flirten und Verführung und Aufreizendem und Verbotenem nachzujagen. Das Vertrauen verflog. Ich konnte mich nicht enthalten vor ihren Augen andere Frauen mit den Augen zu scannen. Wow! Es tut weh mich zu erinnern wie viele Male ich ihr weh getan habe. Ich bin so dankbar, dass ich das mit meiner jetzigen Frau, meiner kostbaren Lebensgefährtin nicht tun muss.
Ich versuchte viele Male aufzuhören, schaffte es aber nicht. Auf der Suche nach Heilung schaute ich mir auch meine religiösen Überzeugungen an. Ich probierte Therapie und Selbsthilfebücher. Ich dachte, irgendetwas außerhalb meiner selbst könnte mich heil machen. Ich verstand nicht, dass das magisches Denken war. Gewiss, ich lernte viele nützliche Dinge, die mir bis heute helfen, aber Wissen und Überzeugungen können die Sucht nicht in Schach halten. Ich verstand nicht, dass ich verlieren musste um zu gewinnen. Ich verstand nicht, dass ich aktiv werden und bereit werden musste meine Lebensweise völlig zu ändern um gesund zu werden.
Mittlerweile war mein Vater trocken geworden und auf den Weg der Genesung gelangt. Damals gab es kein Programm für Sexsüchtige in unserer Stadt. Um seine Sexsucht zu behandeln schloss er sich den AA an. In AA brachte er einige Jahre rum. Bei AA lernte er die Prinzipien der Genesung durch die 12 Schritte kennen, die die Grundlage für das Programm der Anonymen Sexaholiker werden sollten. Er leistete Wiedergutmachung an der Familie, war allerdings zu unerfahren um es behutsam zu tun. Dadurch entfremdeten wir uns ziemlich voneinander. Natürlich hatten wir auch Anteil daran. Er versuchte mit mir seinen Zwölften Schritt zu praktizieren, obwohl ich noch nicht so weit war. Aber ich habe aus dieser Erfahrung etwas gelernt. Diese Fehler musste ich bei meiner Familie nicht machen, als ich trocken wurde. Dafür habe ich massenweise andere Fehler gemacht. Damals wollte ich nicht was er hatte. Ich stritt mit ihm über seine Trockenheitsdefinition. Letztlich ist doch nichts verkehrt an Masturbation, sagte ich. Ich musste sie doch nur kontrollieren. Später begriff ich, dass es nichts mit richtig oder falsch zu tun hat.
Ich dachte damals, seine Trockenheitsdefinition sei in seinen christlichen Überzeugungen begründet. Er hatte eine theologische Hochschule absolviert und zuweilen als Pfarrer im Vertretungsdienst der lokalen Kirchengemeinde gearbeitet. Um ohne Einschränkungen ausagieren zu können hatte er dieses Amt verlassen. Einmal brachte er eine Prostituierte mit nach hause und stellte sie der Familie vor. Ich glaube er wollte ihr helfen, aber es fühlte sich sehr seltsam an. Erst Jahre später erfuhr ich wer sie war. Hatte er sie getroffen als er noch ausagierte? Ich weiß es bis heute nicht. Sexsüchtige tun verrückte, chaotische Dinge.
Nach einigen Jahren sexueller Trockenheit gestand er sich ein, dass er eine religiöse Sucht hatte und schloss sich nie wieder einer Kirche an. Das habe ich auch durchgemacht. Ich vermute ich bin darin seinem Beispiel gefolgt. Heute weiß ich, dass es bei der Trockenheitsdefinition von AS nicht um Moralität, sondern um die Wirklichkeit unseres krankhaften Zustandes geht. Wenn Sucht das Verhalten beherrscht geht es nicht um Moralität. Wie das Weiße Buch sagt haben wir uns aus dem Kontext von richtig und falsch völlig herausbegeben. In einer von seinen Schriften, die er nicht für das Programm schrieb, lese ich, dass er Heteros und Schwule als gleich ansah in dem was er ihre Pseudosexualität der Lüsternheit nannte.
Als meine Krankheit weiter voranschritt und die Konsequenzen immer schmerzhafter wurden wurde ich offener für die Versuche meines Vaters mich zu erreichen. Ich folgte seinem Rat und schloss mich AA an wie er. In AA enthielt ich mich fünf Jahre lang von sexuellem Ausagieren, bis ich rückfällig wurde. Ich war weiterhin lüstern geblieben. Ich hatte nicht verstanden, dass Lüsternheit der erste Schluck ist. Wahrscheinlich wollte ich es nicht verstehen. Ich konzentrierte mich darauf nicht auszuagieren, während ich weiterhin an Lüsternheit festhielt. Wie jeder gute Sexsüchtige war ich in Leugnung. Ich war wie der Alkoholiker, der entschlossen war nicht die ganze Flasche zu trinken, aber der Meinung war ein Schlückchen sei kein Problem.
Jahre später, als ich anfing Lüsternheit auf täglicher Basis zu kapitulieren fand ich sehr zu meiner Überraschung heraus, dass ich keinen Drang mehr hatte Pornos zu schauen, zu masturbieren oder sonstwie sexuell auszuagieren. Ohne ersten Schluck gibt es sozusagen keinen Anreiz zu trinken.
Während dieser ersten fünf Jahre in AA war ich abstinent, aber nicht nüchtern. Ich war immer noch verrückt, impulsiv und emotional mit Konflikten und Ängsten vergiftet. Ich konnte kein Gefühl fühlen. Ich war voll von Groll und Ärger. Und natürlich wurde ich rückfällig. Später versuchte ich es erneut und erreichte erneut fünf Jahre Abstinenz bevor ich wieder rückfällig wurde. Mittlerweile entstanden weitere Programme gegen Sexsucht. In einem von ihnen hatte ich ein weiteres Mal fünf Jahre Abstinenz. Aber mir entging weiterhin, dass Lüsternheit der erste Schluck ist. Ich durfte meine eigene Definition von Trockenheit festlegen und die schloss Lüsternheit nicht mit ein. Ich wurde ein drittes Mal rückfällig.
Diese Phase der Genesung, in der Mitte der 80er Jahre, brachte mich nicht dazu meine Machtlosigkeit zuzugeben oder zu kapitulieren. Das passierte erst am 25. März 2014, als ich mich schließlich den Anonymen Sexaholikern anschloss. Das war fünf Jahre nach dem Tod meines Vaters. Seit dem, seit ich die rote Linie vor der Lüsternheit gezogen habe, hatte ich keinen Drang mehr auszuagieren. Ich wünschte mein Vater hätte mich in AS miterlebt. Er wäre völlig aus dem Häuschen gewesen mich heute hier zu sehen, wie ich auf einer AS-Convention in Armenien spreche. Ich bin darüber völlig aus dem Häuschen!
Zu Beginn jeder dieser fünfjährigen Phasen, in denen ich abstinent war, fühlte ich mich als hätte ich meinen Tiefpunkt nun erreicht gehabt. Heute kann ich sehen, dass meine Motivation die Angst vor den schmerzlichen Konsequenzen war. Immer noch versuchte ich meine Krankheit zu kontrollieren. Ich nahm das Programm nur selektiv an, anstatt mich ihm einfach komplett hinzugeben. Ich wählte aus, welche der Werkzeuge ich anwenden oder nicht anwenden würde, je nachdem wie ich mich fühlte – halbe Sachen also. Zum Beipiel nahm ich mir einen Sponsor und machte aber keinen Gebrauch davon. Oder ich begann mit den Schritten und hörte aber bei Schritt Vier wieder auf. Immer versuchte ich nur mit dem Minimum auszukommen, anstatt das Programm zu meiner Lebensweise zu machen und alles zu tun was notwendig ist um trocken zu bleiben. Es war eher ein Dan-geführtes Programm als von einer Höheren Macht geführt.
Heute habe ich den Beweis, dass ich den Tiefpunkt erreicht habe. Ich lasse das Programm mich benutzen. Wenn es quasi möchte, dass ich mich auf den Kopf stelle um zu sprechen, dann stelle ich mich eben auf den Kopf. Wenn das Weiße Buch empfiehlt, dass wir in unserer Ehe eine Zeitlang zölibatär leben damit ich von der Lüsternheit genesen kann, dann soll es eben so sein. Die Aktivität im Programm kann hart sein. Ich bin ein Süchtiger. Entbehrung ist nicht meine Sache. Lieber laufe ich davor weg oder betäube mich. Heute ist das anders. Wenn ich mir einen Tag nach dem anderen eine gesunde spirituelle Verfassung erhalte, dann lasse ich das Kämpfen sein und bin bereit Entbehrung und Leid auszuhalten ohne mich in krankmachende Selbstmedikation zu flüchten.
Heute rufe ich an oder schreibe eine Nachricht bevor ich ausagiere, nicht erst danach. Heutzutage teile ich in Meetings die Lösung anstatt das Problem abzuladen. Ich arbeite permanent die Schritte. Ich habe mehrere Dienstverpflichtungen in AS als auch in meinen Programmen gegen Essstörung und Drogenabhängigkeit. Ich rufe meinen Sponsor ein oder mehrere Male die Woche an. Ich sponsere andere. Die Liste der lebensverändernden Maßnahmen ist noch lang. Keine halben Sachen mehr.
Meine zweite Ehe ist unglaublich wunderbar, da sie nun nicht mehr mit Lüsternheit verschmutzt ist. Meine Frau weiß, dass sie sicher ist. Sie vertraut mir. Unter anderem dank Phasen der sexuellen Abstinenz kommt Lüsternheit in unserem Ehebett nicht vor. Wir haben eine Qualität der Liebe, Kameradschaft, Intimität und körperlicher Vereinigung die ich früher nicht für möglich gehalten habe. Das haben wir erreicht, indem wir die Prinzipien der Genesung praktizieren, die mein Vater entdeckt und über die er im Weißen Buch geschrieben hat. Ich leiste keinen Widerstand mehr gegen diese Ideen. Ich kritisiere nichts mehr bevor ich es nicht ausprobiert habe und leiste mir kein lähmendes Herumanalysieren mehr. Jedenfalls meistens nicht. Nichts was ich hier beschreibe, läuft perfekt. Genauer gesagt mache ich Fortschritte in diesen Dingen. Ich warte nicht mehr bis mir danach ist, diese Prinzipien zu praktizieren. Ich tue es einfach. Die Begeisterung folgt dann – meistens jedenfalls. Manchmal, wenn sich eine Programmaktivität wirklich sehr gegenteilig anfühlt zu dem wonach mir ist, verfalle ich wieder in Eigenwillen und leiste Widerstand. Aber es dauert nicht lange bis ich aufwache und wieder aktiv werde.
Ich glaube Angst und Selbstvergötterung waren der Ursprung meiner fehlenden Bereitschaft und meiner Widerstände. Um gesund zu werden musste ich die Konsequenzen meiner fehlenden Bereitschaft in vollem Umfang erfahren. Das hat mich dazu gebracht mich den Prinzipien des Programms zu ergeben. Ich musste meinen verzweifelten Ängsten, die meinem Problem zugrunde lagen, ins Auge blicken. Eines Tages, als ich zutiefst verzweifelt war, betete ich und gab Gott die Erlaubnis zu tun was immer auch nötig wäre um mich auf die Knie und zum Kapitulieren zu bringen. Dann wartete ich darauf, dass irgendetwas fürchterliches passieren würde. Ich dachte Gott würde meinen Mut brechen und mich mit fürchterlichen Konsequenzen niedermachen, so dass ich wieder ausagieren würde – wie ein strafender Elternteil.
Stattdessen wurde ich zum Rand des Abgrunds geführt, wo ich mit Schrecken sehen konnte, wo ich enden würde, wenn ich so weitermachte. Das war nach meinem dritten Rückfall. Ich hatte kurz zuvor wieder geheiratet und aufgehört in Meetings zu gehen oder irgendein Programm zu arbeiten. Die Lüsternheit wurde stärker und trat immer häufiger auf. Es endete wieder mit Internetporno. Ich fing wieder damit an, dann schwörte ich ab, wie in alten Zeiten. Ich versuchte es zu kontrollieren, aufzuhören. Aber der moralische Verfall und die Depression setzten ein. Trotzdem widerstrebte es mir immer noch zur Genesung zurückzukehren. Ich versuchte weiter es zu kontrollieren und zu genießen. Dieses Mal wusste ich aber, dass das andere S-Programm für mich nicht funktionieren würde. Und dann dachte ich: „Oh nein! Es könnte sein dass ich zu AS gehen und zugeben muss, dass Papa recht hatte!“ Genau da war mir instinktiv völlig klar, dass ich die Lüsternheit aufgeben musste. Verflixt! Ich trat auf der Stelle. Ich konnte diesen Schritt nicht gehen, aber mein Zustand wurde schlimmer und schlimmer. Schließlich begriff ich, dass ich dabei war wieder in das ganze Ausmaß der Sexsucht zurückzufallen. Das würde meine Frau, die dachte ich sei durch mit der Sexsucht, völlig desillusionieren. Ich war im Begriff eine weitere Ehe zu verspielen. Ich war im Begriff in den Abgrund zurückgesogen zu werden. Das war ein Moment völliger Klarheit, als ob ein Eimer mit Eiswasser über mir ausgegossen würde. Diese Klarheit schockte mich. In diesem erwachten Zustand konnte ich den schieren Horror dieser Krankheit fühlen. Ich wusste ich musste zu AS gehen, aber ich musste diese Entscheidung noch in die Tat umsetzen. Genau am nächsten Tag sprach meine Frau mich an. Sie wirkte angespannt, aber versuchte nicht mich zu kontrollieren. Sie fragte ob ich daran dächte mal wieder in Meetings zu gehen. Ich war erleichtert. Ich war bereit.
Ich hatte Gott die Erlaubnis erteilt zu tun was immer nötig war und das war, wie Er es anstellte. Ich hatte mich darauf eingestellt, dass Gott mich höllenmäßig strafen werde. Stattdessen öffnete er mir die Augen für den Abgrund auf den ich zusteuerte. Manche von uns erleiden sehr bittere Konsequenzen, aber ich glaube das ist etwas anderes als Strafe von einem wütenden Elternteil. Es ist Gottes Art uns zu motivieren, die aus seiner innigen Liebe und seinem innigen Wunsch uns zu helfen resultiert. Es ist jeden Tropfen Blut wert, den wir zahlen müssen. Die Freiheiten und Freuden der Genesung sind auf andere Weise einfach nicht zu haben.
Wie sieht nun also die Hingabe an das Programm für mich aus? Es ist nicht nur, dass ich den Dritten Schritt mache und die Entscheidung treffe meinen Willen und mein Leben Gott anzuvertrauen. Schritt Drei ist nicht die Hingabe, er ist nur die Entscheidung für eine Lebensweise der Hingabe. Kapitulation muss sich immer erweisen und sie erweist sich im Handeln. Wenn ich nicht handele – also z. B. die Schritte arbeite, Dienst tue, die Werkzeuge des Programms gebrauche - habe ich nicht kapituliert.
Dann sind da ja noch die Lüsternheitsanfälle, die es zu kapitulieren gilt. Als ich schließlich bereit war musste mir niemand mir mehr erzählen, dass ich anrufen oder Nachrichten verschicken soll um zu kapitulieren. In den ersten zwei Jahren gab es Tage, an denen ich drei bis fünf Mal am Tag anrief. Mittlerweile weiß ich seit Jahren, was ich zu tun habe und ich tue instinktiv was immer nötig ist um trocken zu bleiben. Ich bete instinktiv für die Person, die meine Lüsternheit auslöst. Ich agiere instinktiv nicht aus, egal wie unwohl ich mich fühle. Es ist für mich offensichtlich, wann ich meinen Sponsor anrufen muss usw. usw. Es ist einfach, wenn auch nicht leicht. Die Krankheit schlägt immer wieder zurück.
Die Lüsternheit zu bekämpfen ist immer zum Scheitern verurteilt. Das ist als wenn man mit einem Schwergewichtsboxer in den Ring steigt. Er wird mich jedes Mal k. o. schlagen. Aber jetzt habe ich einen großen Bruder, der für mich in den Ring steigt und diesen Satan k. o. schlägt. Mein großer Bruder wird das aber nicht tun wenn ich nicht jeden Tag in die Fitnessbude gehe und trainiere so als ob ich selbst in den Ring steigen müsste. Wie mein Papa sagte: „Ohne Gott kann ich nichts tun, ohne mich wird Gott nichts tun.“
Mein Fitnesstrainig besteht aus Dingen wie der stillen Zeit bevor ich meinen Tag beginne, Programmliteratur lesen, Schrittearbeit, Dienst, Gebet, Meditation, abendlichen Sechsten, Siebten und Zehnten Schritten, Meetings, und allem was der Große Bruder sonst noch so anweist. Ich habe festgestellt, dass, wenn die Lüsternheit zuschlägt, das Kapitulieren nicht funktioniert, wenn ich meinen Teil der Arbeit nicht gemacht habe.
Trockenheit ist das eine, Genesung ist etwas anderes. Genesung heißt das Leben zu seinen Bedingungen zu leben. Es bedeutet mit Charakterfehlern umzugehen, die Konflikte, Angst, Schuld, Groll und andere Formen emotionaler Vergiftung verursachen. Wenn ich nicht aufpasse wird emotionale Vergiftung zu Lüsternheit und zu sexueller Vergiftung führen. Emotionale und lüsterne Vergiftung haben mir und anderen immer Schmerzen gebracht. Meine Krankheit hält immer nach Ausreden Ausschau um sich wieder als Erleichterung ins Spiel zu bringen. Wenn meine Höhere Macht die Kontrolle über meine Mängel übernimmt und ich langsam inneren Frieden erlange, hat meine Krankheit weniger anzubieten. Wie mein Vater zu sagen pflegte: „Ich bin nicht frei von Lüsternheit, aber ich bin frei nicht lüstern zu sein.“
Meine abendliche Zehnte-Schritt-Inventur ist entscheidend für meine Genesung und meinen wachsenden inneren Frieden. Sie zeigt mir die Mängel, die in mir wirken. Schritt Sechs ist wenn ich bereit werde, dass Gott sie wegnimmt. Schritt Sieben ist wenn ich Gott bitte sie wegzunehmen. Früher dachte ich Schritt Sechs hieße man wird bereit mit ihnen aufzuhören. Ich dachte Schritt Sieben hieße ich frage Gott mir zu helfen mit ihnen aufzuhören. Das waren Interpretationen im Lichte des Eigenwillens. Ich kann die Mängel auf meiner Liste nicht kontrollieren. Darum bin ich mit ihnen niemals irgendwohin gelangt. Ich bin ebenso machtlos über meine Mängel wie über die Lüsternheit. Heutzutage bitte ich um Bereitschaft Gott sie wegnehmen zu lassen. Dann bitte ich Gott für mich zu tun was ich nicht kann und sie wegzunehmen. Dasselbe mit der Lüsternheit. Wenn Gott es nicht tut, tut es keiner. Wenn keiner es tut, dann habe ich was zu lernen und daran zu wachsen. Heutzutage betrachte ich scheinbar unerhörte Gebete als Gelegenheiten zum Wachstum. Wie schon andere vor mir kann ich sagen ich bin dankbar ein genesender Sexsüchtiger zu sein.
Abschließend sollte ich wohl noch erwähnen, dass ich auch noch Hilfe von außerhalb des Programms brauchte um in der Genesung in der Spur und einigermaßen bei Verstand zu bleiben. Da ich bipolar bin, musste ich mich einer Therapie unterziehen. Der Schmerz und die Verrücktheit der geistigen Erkrankung hatten großen Anteil an dem was meine Sucht fütterte. Sie hinderten mich daran mit dem Programm in Gang zu kommen. Es heißt Groll ist der Killer Nummer 1 für Süchtige. Bei mir und anderen habe ich beobachtet, dass Trauma auch ein Killer von Süchtigen ist. Meine Frau ist in einem Zwölf-Schritte-Genesungsprogramm. Gleichzeitig arbeitet sie in einem der führenden Krankenhäuser für Traumabehandlung in den Vereinigten Staaten und ihre Erfahrung bestätigt meine Beobachtung.
Danke, dass ihr mir helft trocken zu bleiben. Möge euch eure Höhere Macht maximal segnen, mehr als ihr euch vorstellen könnt. Mögt ihr wiederkommen, egal was passiert. Ich sage noch einmal: Kommt wieder, egal was passiert.

Dan K., California, USA

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