Bevor ich zu AS kam, glaubte ich nicht, dass Lüsternheit für mich von großer Bedeutung sei. Ich hatte mein ganzes Leben lang masturbiert, manchmal mit Hilfe von Pornografie. Am Höhepunkt meiner Sucht hatte ich vier bis sechs Mal im Monat Sex mit anderen Männern. Ich lebte das, was ich für ein erfolgreiches Doppelleben hielt - auf der einen Seite ein erfolgreicher Pädagoge, Vater, Ehemann und Kirchenvorsteher, auf der anderen Seite ein zwanghafter Sexsüchtiger. Ich konnte mit dem Stress im Beruf, in der Familie oder in der Kirche fertig werden und vor den anderen als weise und mutige Führungskraft dastehen. Doch später baute ich den emotionalen Druck ab, indem ich sexuell ausagierte. Abgesehen von den belastenden Schuld- und Schamgefühlen schien das Konzept zu funktionieren.
Im September 2017 wurde mir klar, dass ich nicht länger mit der Spannung zwischen meinem wahren Ich und meinem Süchtigen Ich leben konnte. Der Süchtige wurde immer stärker und beherrschte oft das, was vom Rest meines wahren Ichs noch übrig war. Wenn ich nicht etwas unternehmen würde, würde der Süchtige alles Gute, das von mir noch übrig war, zerstören. Also gestand ich meiner Frau und meinen beiden Söhnen mein Doppelleben, begann ein rigoroses Sexualtherapieprogramm und nahm an AS-Treffen teil.
Mein Therapeut sagte, ich müsse " austrocknen", mindestens neunzig Tage lang keinen Sex haben. Ich habe fast vier Monate durchgehalten. Es war eine negative Nüchternheit, an jedem dieser Tage, und sie beruhte ausschließlich auf Angst: Angst, dass ich meine Frau, meine Söhne, meinen Enkel, meine Freunde und meinen Ruf verlieren würde. Ich habe mich mit zusammengebissenen Zähnen die ganze Zeit krampfhaft bemüht trocken zu bleiben. Ich wollte so dringend Sex, aber ich fürchtete, dass ich durch einen Ausrutscher alles verlieren würde, was mir wichtig war. Mein Mangel an echter Kapitulation und mein ständiger Groll auf andere brachten mich in eine Abwärtsspirale, die mich zu regelmäßiger Selbstbefriedigung zurückführte.
Fast zwei Jahre lang dachte ich, ich könnte es schaffen, hin und wieder zu masturbieren. Ich hatte mir keinen Plan gemacht, aber ich glaubte, dass ich mein sexuelles Verlangen einigermaßen im Griff hatte. Der Nachteil war, dass ich mein Trockenheitsdatum zurücksetzen und es in den AS-Meetings sagen musste; ich besuchte inzwischen drei Meetings pro Woche. Um mein Ego zu beruhigen, sagte ich oft: "Ich bin dankbar, dass ich heute hier bin", anstatt das Datum zu nennen, an dem ich zuletzt masturbiert hatte. Ich war über AS verärgert, dass es eine so harte Trockenheitsdefinition gab. Was ich damals nicht begriff, war, dass mein Verhalten die Glut meiner schwelenden Lüsternheit anfachte.
Am Freitag, dem 13. März, wurde ich von meiner Höheren Macht wachgerüttelt. Ich hatte einen schweren Fahrradunfall und brach mir drei Wirbel im Nacken. C1 war an zwei Stellen komplett gebrochen, und die Ärzte sagten, ich hätte tot oder zumindest vom Hals abwärts gelähmt sein müssen. In den Wochen nach dem Unfall hatte ich viel Zeit zum Nachdenken, da ich durch den Halo-Fixateur den ich tragen musste, ziemlich unbeweglich war.
Was wollte Gott? Warum lebte ich noch? Wie würde mein Leben aussehen, wenn ich vom Hals abwärts gelähmt wäre? Zwei Monate nach dem Unfall wurde mir klar, dass die Dinge, die ich tun musste, um die Schmerzen zu bewältigen und mich von meinem Fahrradunfall zu erholen, nur ein Bruchteil dessen waren, was ich tun musste, um nüchtern zu werden. Also beschloss ich, mich neben der körperlichen Genesung auch um die Genesung von der Sucht zu bemühen. Ich begann mit 90 Meetings in 90 Tagen, vereinbarte Schritte Arbeitsmeetings mit meinem Sponsor und fing an, mit anderen Mitgliedern zu telefonieren.
Ich hasse Telefonate. Ich fühle mich unwohl bei langen Pausen. Ich möchte nicht ehrlich darüber sprechen, dass Lüsternheit einen so großen Teil meines Lebens ausmacht. Es ist mir peinlich, zuzugeben, dass ich meinen eigenen Körper als Objekt benutze. Ich mag es nicht, das Gespräch mit der einen Sache zu beginnen, über die ich nicht sprechen möchte. Aber ich rufe trotzdem an. Ich trage in meinen Kalender die Namen der Männer ein, die ich in dieser Woche anrufen werde. Derzeit rufe ich mehrere wöchentlich an. Jetzt kommen mir ein paar von ihnen zuvor und rufen mich an, bevor ich die Chance habe, sie anzurufen. Ich bin nur so krank wie meine Geheimnisse. Mit anderen Sexsüchtigen zu reden, hilft mir, meine Nüchternheit zu bewahren.
Gott hat mir am 13. März das Leben gerettet, und rettet es auch weiterhin Tag für Tag, wenn ich auf dem Weg der Genesung gehe. Positive Nüchternheit ist mein Kompass, der meinem Leben die Richtung vorgibt. Je länger ich nüchtern bin, desto feiner wird mein Detektor für Lüsternheit. Ich fange an zu spüren, was wirklich in mir vorgeht. Ich kann die Zufriedenheit und die Freude in anderen sehen und beginne, sie selbst zu erleben.
Der Abschnitt über Entzug im Weißen Buch von AS (Seite 35) beschreibt Nüchternheit folgendermaßen
„Nüchternheit bringt eine neue und ungewohnte Lebensweise, vergleichbar mit dem Fahren in einem fremden Land, ohne die Sprache und die Bräuche zu kennen. Nur ist dies ein ganz neues inneres Gelände. Ohne die Droge fangen wir an zu spüren, was wirklich in uns los ist. Es braucht Zeit, sich an dies alles zu gewöhnen, und die Unterstützung der anderen in der Gemeinschaft ist lebensnotwendig. Gemeinsames Befahren dieser neuen Straße hilft uns, die Angst vor dem Entzug zu nehmen. Wir sehen, dass andere, die vor uns gingen, entdeckten, dass Sex wirklich wahlfrei ist, sobald sie vor der Lüsternheit und der Erwartung nach Sex kapitulierten. Und ihr Trost und ihre Freude sind echt; sie sind weder unnormal noch geächtet.“
Ich bin Gott dankbar, dass er mir zweimal das Leben gerettet hat, einmal als Radfahrer und jetzt als genesender Sexsüchtiger.
Tim K., USA